Architecting for Change

Vor kurzem wurde ich von der sitic eingeladen, eine Keynote zum Thema Unternehmensarchitektur im Digitalen Zeitalter zu halten und die Herausforderungen für die Architektur eines Unternehmens ein wenig zu beleuchten. Einige Aspekte meiner Präsentation möchte ich mit diesem Beitrag aufgreifen.

Die Digitale Lawine

Die Digitale Transformation umfasst ein Ausmass, was wir (mich eingenommen) heute noch nicht genauer abschätzen können. Wie eine gewaltige Lawine kommt diese auf uns zu. Es gibt fast nichts, was von ihr nicht erfasst werden wird. Damit verbunden, kommt es zunehmend zu komplexeren Problemstellungen für Unternehmen (und Organisationen). Der “Knackpunkt”: Für bestehende Problemstellungen entwickelte Methoden und Tools lassen sich plötzlich für die neuen digitalen und komplexeren Problemstellungen nicht mehr anwenden. Es braucht also neue Ideen, Methoden, Modelle und Ansätze.

Digitalisierung bedeutet vor allem aber auch neue Chancen

Die Digitale Transformation ist aber nicht nur mit Herausforderungen, sondern auch mit grossen Chancen verbunden. Manche sehen das Zeitalter der Digitalisierung mit den grössten Möglichkeiten bisher für Unternehmen überhaupt verbunden.

“Früher oder später werden wir als Firmenchefs zur Verantwortung dafür gezogen, dass wir diese faszinierende Gelegenheit, die sich jeder Generation nur einmal bietet, nicht genutzt haben.”

Ulrich Spiesshofer, CEO von ABB (http://bit.ly/2o9lkWZ)

 

Bedeutung für die Unternehmensarchitektur

Nun, was bedeutet das ganze aber für die Unternehmensarchitektur (Enterprise Architecture Management, EAM) eines Unternehmens (und ich meine damit nicht die IT-Architektur)? Dieses muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass Technologie einen immer wichtigeren Bestandteil des Unternehmens einnimmt und auch die Basis für neue Business Modelle bildet. Viele Unternehmen wie z.B. Online-Retailer und einige Banken (aber auch Unternehmen ganz anderer Branchen) betrachten sich heute neu als Technologieunternehmen. Und welche Relevanz hat EAM eigentlich heute noch? Wenn man sich einmal die Visualisierung der Suchabfragen der letzten fünf Jahre bei Google Trends anschaut, gibt es zumindest eine Indikation für ein abnehmendes Interesse bezüglicher klassischer Unternehmensarchitektur (auch wenn diese Grafik nicht repräsentativ ist), das Thema “Digitale Transformation” ist hingegen klar im Aufwind.

Quelle: https://trends.google.com

Der Digital Enterprise Architect

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrung empfehle ich den Unternehmensarchitekten von heute, sich neu zu positionieren.

Das klassische Bild des Unternehmensarchitekten (Enterprise Architect, EA) mit einer zentralen Leuchtturm-Architektur, in welcher der EA klassische Frameworks nutzt, die Landschaft dokumentiert, sowie versucht, seine Governance durchzusetzen, ist einfach nicht ausreichend, um die Position des Enablers neuer Geschäftsmodelle im Rahmen der Digitalen Transformation einnehmen zu können.

Boris Reinhard

Im Zeitalter der Digitalen Transformation braucht es einen “Digital Enterprise Architect” (oder wie auch immer man diese neue Rolle bezeichnen möchte).

Eine anspruchsvolle Aufgabe – Architecting for Change

Als Digital EA muss die Verantwortung und die entsprechenden Skills haben, alle 6 Digitalisierungs-Dimensionen zu überschauen. Dieses sind (siehe auch http://bit.ly/r1-dod):

  • Strategie & Leadership
  • Organisation, Kultur und Skills
  • User und Customer Experience
  • Prozesse
  • Architektur und Technologie
  • Produkte und Services

Es gibt also viele neue Herausforderungen für den Digital Enterprise Architect. Er muss sich als Partner der Geschäftsführung damit befassen, was mit gewachsenen Geschäftsmodellen passiert und wie man mit Innovationen (im Sinne von Inventionen) umgeht. Alex Osterwalder spricht in diesem Kontext auch von einem dualen Betriebssystem für das Unternehmen:

You have to set up a structure where you continuously think about the future, and future growth engines don’t always have to cannibalize the current business. (…) So, it’s more like creating a dual operating system with two different organizational cultures. One focused on execution of the present and one focused on inventing the future.

Alex Osterwalder, Strategyzer (http://innovationecosystem.com)

Für dieses duale System muss der Digital EA also die Qualifikation aufbauen, das Business noch besser zu verstehen, neue Business Modelle als Treiber und Enabler der Digitalisierung mit zu gestalten (“inventing the future”) und im Unternehmen zu implementieren und etablieren. Er muss echte Innovationen (Inventionen) fördern. Und er muss den Kunden des Unternehmens kennen (Customer-Centricity). Denn niemandem helfen neue Produkte und Services, die niemand braucht – daher kann der Digital EA auch nicht einfach nur ein IT-Architekt sein.

Der Digital EA darf ergo in keinem Fall als IT-Architekt wahrgenommen werden und/oder entsprechend agieren. Natürlich braucht es auch den IT-Architekt immer noch, aber im CIO/CTO-Office und mit anderen, IT-lastigen Auftrag. Der Digital Enterprise Architect muss von der Geschäftsführung explizit berufen sein oder sich gegenüber der Geschäftsführung entsprechend positionieren, denn die Digitalisierung eines Unternehmens ist natürlich Managementsache. Dementsprechend sollte der Digital Enterprise Architect beim Management (z.B. in Form einer Stabsstelle, in einem “Center of Digital Excellence”, o.ä.) positioniert sein. Auch sollte es in mittleren und grossen Unternehmen natürlich nicht nur den einzelnen Digital EA, sondern entsprechend der Grösse des Unternehmens dimensionierte Teams geben.

Wer kann diese Rolle übernehmen?

Nun kann man sich auch fragen: “Kann der klassische Enterprise Architect überhaupt diese neue Rolle spielen und sich evtl. sogar als Schlüssel für Digital Excellence etablieren?” Darüber kann ich heute natürlich nur spekulieren, da ich im Büro keine futuristische Glaskugel habe. Meine persönliche These ist aber, dass es wahrscheinlich nur ein Teil der heutigen Enterprise Architekten schaffen wird, in diese Rolle zu schlüpfen, denn nicht wenige Enterprise Architekten sind auf Business-Seite bisher noch zu wenig spürbar und nicht hinreichend im digitalen Projektgeschäft beteiligt. Denn oft spielt einfach das Management nicht mit, weil es dem klassischen EA diese Rolle schlicht nicht zutraut. Und daneben geht es auch um Skills. Die Koordination unterschiedlichster Stakeholder (Marketing, Business, IT, CX, etc.), ein echtes Businessverständnis, das Verständnis für Customer Experience, eine exzellente Kommunikation, die Kenntnis von Innovationsmethoden und daneben noch das Kennen neuer Technologien sind Dinge, die dem Digital EA nicht fremd sein sollten. Und diese Skills muss der Digital EA in die Digital-Initiativen, -Projekte und die Digitale Strategie des Unternehmens einzubringen wissen. Es wird also höchste Zeit, sich mit diesen Skills in Digital-Projekten zu beweisen und zu zeigen, dass der EA eine Schlüsselfigur für die Digitalisierung des Unternehmens sein kann.

Auch klar ist, dass jemand diese Aufgaben übernehmen muss. Wenn es nicht der Unternehmensarchitekt ist, wird diese Position vom Management durch andere, entsprechend qualifizierte Experten besetzt werden müssen. Der klassische Enterprise Architect könnte in diesem Fall dann eher in die nicht gerade Business-nahe Rolle des IT-Architekten gedrängt werden.

Auch technisch muss noch einiges gelöst werden

Eine andere und ebenfalls wichtige Frage ist, was mit den wachsenden “Technischen Schulden” (Technical Debt, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Technische_Schulden) eines Unternehmens bei gleichzeitig täglich neu aufkommenden Technologien passiert. Eine IT der zwei Geschwindigkeiten oder auch “bimodale IT”, die derzeit überall propagiert wird, ist ein Anfang. Die Dual-Speed-IT kann aber niemals Strategie, sondern nur eine Übergangslösung sein. Denn die Last alter Systeme, bei denen der Code teils aus Zeiten vor 30-40 Jahren stammt, kann auch nicht durch eine Dual-Speed-IT restlos aufgelöst werden.

Nicht nur mir schwebt dabei immer wieder eine Idee im Kopf herum. Eigentlich haben uns die Banken doch vorgemacht, wie man mit “faulem” Inventar sowie veralteten Business Modellen umgeht: Diese werden in “Bad Banks” – dieses primär zum Liquidieren oder zum Verkauf – ausgelagert. Könnten nicht auch die Technischen Schulden gemeinsam mit den darauf basierenden veralteten Geschäftsmodellen in “Bad Companies” ausgelagert werden? Das ist in jedem Fall eine Fragestellung, die sobald wie möglich angegangen werden muss, damit bestehende Unternehmen nicht früher oder später von den Maintenance-Kosten erdrückt werden.

Und noch mehr…

Neben den genannten Aspekten fällt mir spontan zum Wandel von EAM im Unternehmen noch einiges ein. Ich möchte das Thema hier aber kompakt halten. Und natürlich fiel meine Keynote Ende Mai bei der sitic weitaus umfangreicher aus als hier dargestellt. Für Ihre Fragestellungen, einen vertieften Dialog oder die nächste Keynote auf Ihrem Event oder Anlass stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.

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